Gaby Weber
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Die geraubten Babys

Während der Militärdiktatur in Argentinien verschwanden nicht nur 30.000 Regimegegner, wie Menschenrechtsorganisationen schätzen, viele der verschleppten Frauen waren schwanger. Sie brachten ihre Babys in geheimen Folterzentren zur Welt. Die Mütter wurden nach der Geburt ermordet, ihre Neugeborenen Militärs oder ihren Vertrauten übergeben (siehe Artikel im Menu "Artikel"). Etwa 500 Babys wurden auf diese Weise geraubt. Über hundert konnten inzwischen ihre Identität über Gentests wiedererlangen - meist, weil sie selbst Zweifel hatten. Eine systematische Untersuchung dieses finsteren Kapitels der argentinischen Militärdiktatur steht noch aus. Von noch 400 geraubten Babys - heute erwachsene Menschen - fehlt jede Spur.

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In der Familie des ehemaligen Produktionschefs von Mercedes Benz Argentina, Juan Ronaldo Tasselkraut, befinden sich drei Kinder, die wahrscheinlich in Folterzentren zur Welt gekommen sind, eines in seiner eigenen Familie, die beiden anderen in der seines Bruders. Ich habe der Justiz die gefälschten Geburtsurkunden, ausgegeben vom argentinischen Standesamt ("registro civil") der Tasselkraut-Kinder überreicht. Sie sind als leibliche Kinder eingetragen, was die Hebammen bestreiten. Die Hebamme, die die Geburtsurkunde des geraubten Sohnes von Juan Ronaldo Tasselkraut unterschrieben hat, war während der Diktatur im Folterzentrum Campo de Mayo angestellt.download
Sich Babies von schwangeren Regimegegnerinnen anzueignen, gilt als Verbrechen gegen die Menschheit und verjährt nicht. Trotzdem stellte die Staatsanwaltschaft BerlinDokument das Verfahren ein, Verjährung sei eingetreten.

Auf der Grundlage der vulgär gefälschten Geburtsurkunden erhielt Diego Tasselkraut, wahrscheinlich auch Pablo und Andres, die deutsche Staatsbürgerschaft. Wie es zu der Erteilung der Staatsbürgerschaft kommen konnte – dazu verweigerte die Deutsche Botschaft in Buenos Aires die Auskunft. „Datenschutz“, begründete sie. Auch das Auswärtige Amt schwieg zu der Frage und teilte Amnesty International mit, dass die „vermeintlichen Opfer, die Kinder, kein Interesse an der Erörterung der Staatsangehörigkeit“ besitzen. Download dokument.

Mercedes Benz hat während der Diktatur Brutkästen an die Kaserne in Campo de Campo gespendet - laut vereidigter Aussage seines Justiziars, Ruben Pablo Cueva. 1978 nahm das Unternehmen den ehemaligen Komissar aus San Justo, Rubén Lavallén, als Sicherheitschef unter Vertrag. Er hatte sich Paula Logares angeeignet, das erste Kind, das nach der Diktatur von seiner Großmutter Elsa Pavón gefunden wurde. Und es gibt einen fünften Fall, in dem die argentinische Justiz ermittelt: die undurchsichtige Adoption von Micaela B. durch den Verkaufschef des Unternehmens mit Hilfe des Movimiento Familiar Cristiano.Download dokument

Ich habe, ebenso wie der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Daimler AG, die Aktionärsvertreter im Aufsichtsrat aufgefordert, das Thema der geraubten Babys zu untersuchen download Ohne Erfolg.download

Ich hatte der Staatsanwaltschaft in Buenos Aires die drei gefälschten Geburtsurkunden überreicht, mit denen sich die Tasselkrauts die Kinder angeeignet haben. Obwohl auch der MBA-Sicherheitschef Lavallén wegen Kinderraubes verurteilt ist, wollte der Staatsanwalt keinen Zusammenhang zur Firma Mercedes-Benz sehen und entschied, die Ermittlungen Verfahren abzugeben. Die Verfahren landeten bei Richter Bonadio in Buenos Aires und bei Staatsanwalt Jorge Sica in San Martin. Bonadio ließ zwar die Hebamme verhören, die bekundete, dass sie die Urkunden niemals unterschrieben habe, nahm aber keine weiteren Ermittlungen mehr vor und schickte die Akte ins Archiv. Das Gericht in San Martin ordnete einen Gentest an, der negativ ausfiel. Dazu muss man wissen, dass in der staatlichen Genbank nur noch wenige Blutproben liegen, denn viele Großeltern, die ihre Enkelkinder noch vermissen, haben dort nie ihr Blut abgegeben. Die Chance dieser Gentest ist also gering.

Weitere Ermittlungen stellte das Gericht in San Martín nicht an, es forderte lediglich das Standesamt und das Nationale Personenregister (eine Art polizeiliche Meldebehörde) auf, die Geburtsurkunden vorzulegen. Dies geschah. Die vom Standesamt übersandte war mit der identisch, die ich eingereicht hatte. Allerdings barg die des Nationalen Personenregisters eine Überraschung. Dort war als Geburtsort nicht "Hausgeburt" eingetragen, wie in der des Standesamtes, sondern die Anschrift Sarmiento 3829 in San Martín. Die Adresse ist höchst verdächtig. Wer sie heute auf dem Stadtplan sucht, findet an diesem Ort die Militärakademie, eines der damaligen Folterzentren. Allerdings gibt es eine alte Nummerierung, und danach ist Sarmiento 3829 die Adresse einer anderen Hebamme, die in zahlreiche Babyraub-Delikte verwickelt ist. Egal also, ob man die alte oder die neue Nummerierung zugrunde legt - auf jeden Fall weist dieses Dokument auf einen terroristischem Hintergrund hin. Doch der Richter Hugo Daniel Gurruchaga wollte keine Veranlassung für eine Überprüfung sehen und sprach die Tasselkrauts einfach frei. Es gebe keinen Hinweis auf einen militärischen Hintergrund, behauptet er im Urteil. Die Kinder, heute junge Männer, haben angegeben, dass sie immer wussten, "adoptiert" zu sein. Sie seien zwar, wie es in meiner Strafanzeige heisst, fälschlicherweise als eigene biologische Kinder eingetragen. Dieses Delikt sei aber bereits verjährt. Download dokument

Am 12. Oktober 2012 habe ich bei den Justizbehörden einen Antrag auf Amtsenthebung des Richters Gurruchaga eingereicht. Das Verfahren ist anhängig, theoretisch zumindest, denn irgendwelche Amtshandlungen gegen diesen Richter bisher nicht eingeleitet. Download dokumentFast zwei Jahre später hat das Richtercolleg entschieden: An den Handlungen des Richters Gurruchaga sei nichts auszusetzen. Schliesslich habe sich keine der argentinischen Menschenrechtsgruppen als Nebenklägerin eingefunden und Abuelas de Plaza de Mayo habe sogar, als es um eine spätere Beförderung dieses Richters ging, ihn ausdrücklich gelobt.

Noch ermittelt ein Richter im Strafgericht Buenos Aires - Aktenzeichen 9201 - den systematischen Babyraub der Militärs, darunter auch den Fall Tasselkraut. Ich bin dort als Nebenklägerin anerkannt und habe die Vernehmung der überführten aber freigesprochenen Tasselkrauts beantragt - denn sie haben jetzt keine Entschuldigung mehr, die Aussage zu verweigern und weiterhin die Herkunft der beiden Kinder zu verschweigen. Die Tasselkrauts wurden auch vorgeladen und wollten sich an nichts mehr erinnern; irgendwie habe man einen Hinweis von irgendwoher auf eine nicht mehr zu identifizierende Hebamme bekommen, und irgendwie sei dann ein Baby aufgetaucht. Die Richter fanden sich damit ab. Und ich habe beantragt, die Urkunden des Nationalen Personenregisters mit den Adressen der bekannten Folterzentren abzugleichen - auf diese Weise könnte herauskommen, wer dort geboren wurde. Aber der argentinischen Regierung ist dieses Verfahren ein Dorn im Auge. Abuelas de Plaza de Mayo beantragte, das Verfahren zu "defragmentieren" und die Sache Tasselkraut nach San Martín abzugeben. Dort wartete bereits der Freispruch. Dann warf man mich als Nebenklägerin aus dem Verfahren, versetzte den Richter und die beiden Gerichtssekretärinnen, die den Fall bearbeiten, in eine andere Abteilung. Von dem gesamten Verfahren ist wenig übriggeblieben.. download dokument

Ich bin auch Nebenklägerin in dem Ermittlungsverfahren gegen den Manager der Bayer AG, Lambert Courth. Auch er hat über die "Movimiento Familiar Cristiano", die zahlreiche Babies der Verschwundenen verteilt hatte, ein Neugeborenes adoptiert, das wohl im Folterzentrum zur Welt gekommen ist: Thomas - sein wirklicher Name ist unbekannt. Die argentinische Justiz hatte sich an die Deutsche Botschaft in Buenos Aires gewandt und um Mithilfe bei der Suche nach Courth gebeten. Die deutsche Diplomatie hat dies abgelehnt. Download dokumentJetzt hat der Richter einen Beschluß gefaßt, daß im Rahmen des Amtshilfeabkommens mit Großbritannien, wo die Familie Courth residiert, ermittelt und die Beschuldigten verhört werden. Doch der hat eine Mitwirkung bereits abgelehnt.

Ich bin auch Nebenklägerin gegen den ehemaligen Militärattaché der US-Botschaft in Buenos Aires und habe Beweismittel überreicht. William Desreis hat ebenfalls über die Movimiento Familiar Cristiano ein Kind adoptiert, in diesem Fall nicht von Verschwundenen sondern, wie es in Argentinien heißt, im Rahmen des "Baby-Handels".

Desreis hatte schon 1975 vom argentinischen Generalstab für den "schmutzigen Krieg" ausgebildet und ausgezeichnet worden Download dokument. Am 22. August 1980 erteilte ihm der Oberkommandierende des argentinischen Heeres den Titel "Mitglied des Generalstabes" - einen Monat später erhielt er in Tucumán das Baby. Ich habe die Beschlagnahmung des gesamten Briefverkehrs von Mr. Desreis mit dem State Department beantragt, um die Hintergründe dieser Adoption aufzuklären.

Vor einigen Monaten hatte ich im Rahmen einer Sendung für den DLF den neuen Militärbischof interviewt und nach den Taufbüchern der Kapellen der Folterzentren gefragt. Und er rief mich tatsächlich nach einigen Wochen an und meinte, er hätte sie gefunden. Von Rom aus gab er seinen Funk öffentlich bekannt, und vor einigen Tagen - März 2018 - erhielt ich von ihm eine Kopie des Geburtsbuches der ESMA. Darin sind etwas weniger als 300 Taufurkunden dokumentiert, in der Zeit 1975 - 83. Damit die Personen, die heute noch nach ihrer Identität suchen, weitere Informationen erhalten, habe ich aus diesen Kopien eine Liste angefertigt und - unter Wahrung des Datenschutzes - auf meiner homepage veröffentlicht. link